Wenn man zurückrechnet, dann bin ich genau heute schon 322 Tage hier auf den Philippinen. Die verbleibenden 31 Tage erscheinen einem im Vergleich schon ziemlich wenig. Vor allem im Anbetracht dessen, dass ich innerhalb dieser Zeit um die zwei Wochen mit meiner Familie, die mich besuchen wird, auf Reisen sein werde. Dementsprechend ist jeder Kalender momentan mein Erzfeind – jeder Blick erinnert mich daran, wie schnell die Zeit vergangen ist und vergehen wird. Schon seltsam, vor einem Jahr befand ich mich in den Abschlussvorbereitungen für mein Auslandsjahr – aufgeregt und neugierig aber gleichzeitig auch nervös. Das Gefühl momentan ist anders. Auf der einen Seite die Vorfreude auf Familie, Freunde und, absolut nicht zu unterschätzen, das deutsche Essen. Auf der anderen Seite die Gewissheit, dass ich die neuen Menschen und philippinische Kultur, die ich kennen und lieben gelernt habe, in absehbarer Zeit nicht mehr um mich herum haben werde.
Aber andererseits kann ich mich auch nur wieder darüber freuen, so viele gute Erfahrungen gemacht zu haben, dass es ich es hier so vermissen werde. Nach wie vor fühle ich mich sehr wohl. Die Arbeit mit den Kindern ist oft zwar sehr anstrengend, aber die vielen Vorschritte, die sie aber auch ich gemacht haben, machen mich wahnsinnig stolz und sind all die Mühe und Kopfschmerzen von der Lautstärke wert. Inzwischen kennt man die meisten Kinder ziemlich gut und weiß, mit welchen kleinen Tricks man sie zu etwas bewegen kann – den Müll nicht auf den Boden sondern in den Mülleimer zu schmeißen, die Stifte wegzuräumen oder sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, anstatt mit dem Sitznachbarn zu reden.
Inzwischen stehen Lena und ich noch mit einem anderen sozialen Projekt in Cebu in Kontakt.
Das „Welcome House“ ist eine Auffangstation für Mädchen und Frauen, die sich prostituieren und bietet ihnen für einen begrenzten Zeitraum ein zu Hause. Es ist die erste Station eines längeren Prozesses, mit dem schlussendlichen Ziel, den Mädchen eine Ausbildung zu ermöglichen, damit sie unabhängig und auf eigenen Füßen stehen können. Einmal die Woche gehen wir zusammen mit Ate Melli, Leiterin des Projektes, abends auf die Straße oder in „Bars“, um Kondome und Kekse an die „Girls“ zu verteilen und sie in das Welcome House einzuladen. Fast alle von ihnen kennen Ate Melli, was es einfach macht, mit ihnen in Kontakt zu treten. Das mulmige Gefühl im Bauch an unserem ersten Abend ist schon damals nach wenigen Minuten gewichen. Die Offenheit und Ehrlichkeit, die uns entgegengebracht wird ist für mich immer wieder bewundernswert. So fängt so manches Gespräch mit leichten Fragen wie „Wo wohnst du?“ an und am Ende weiß man Bescheid über das Kind von einem ausländischen Kunden, die durchschnittliche Bezahlung oder auch die Gründe, wie es dazu kam, dass man sich prostituiert. Es ist schon seltsam, wie viel Angst man vor dem Unbekannten hat und wie menschlich und nahbar es dann im Nachhinein ist.
Mal sehen, wie bald das „bekannte Unbekannte“ in Deutschland auf mich wirken wird und inwieweit die philippinische Blickweise meinen Alltag begleiten wird. Ich werde die folgenden 39 Tage auf jeden Fall nochmal in vollen Zügen genießen, freue mich dann aber schon auf ein Vollkornbrötchen mit Butter und Salami!